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Programmieren für Kindergartenkinder und Grundschulkinder der Klassen 1 und 2 - wozu soll das gut sein? Hier führen wir Tagebuch zu einem Einsatz von ScratchJr in einer zweiten Grundschulklasse. Wenn wir damit interessierte Schulen und Lehrer für dieses Thema begeistern können, sind unsere Erfahrungen vielleicht bei einer Wiederholung des Projekts in einem neuen Kontext nützlich. Die Tagebuch-Einträge enthalten Download-Links für alle verwendeten Materialien. Vorlagen und Arbeitsblätter sind auch unter der Rubrik Downloads verfügbar.

Die erste "Stunde"

In einem vorherigen Tagebucheintrag erläutere ich die Hintergründe des Projekts C4C, in dem wir ScratchJr in einer 2. Grundschulklasse einsetzen, um mit den Kindern an verschiedenen Lernzielen zu arbeiten.

In diesem Beitrag beschreibe ich unsere erste “Stunde”, wobei wir hier von vornherein etwa 90 Minuten eingeplant hatten. Wenn man den weiter unten beschriebenen Fragebogen wegließe, käme man tatsächlich gut mit 70 bis 80 Minuten hin. Diese würden wir zu Beginn unbedingt investieren wollen, um die anfängliche Begeisterung der Kinder (“Wir machen was mit Tablets”) bestmöglich zu nutzen.

Einstieg

Nach dem üblichen Tageseinstieg, der sich an diesem Tag aus projektfremden Gründen mit etwa 25 Minuten recht langwierig gestaltete (Elternrückgaben einsammeln, begrüßen, Singen im Sitzkreis, etc.) begann unser eigentlicher Einstieg in das Projekt.

“Heute ist etwas anders als sonst.” Die Kinder wissen sofort, was anders ist: “Der neue Lehrer!” Ich stelle mich vor als Lehrer für Erwachsene (sprich Studenten). Und dass die Kinder meiner Meinung nach jetzt alt genug sind, das zu lernen, was ich normalerweise erst den Erwachsenen beibringe: Programmieren. Und dass ich in den nächsten Wochen hier bin, um genau dabei zu helfen.

Der Lehrer fragt in den Sitzkreis hinein: Was ist eigentlich “Programmieren”? Antworten
lauten: “Einen Computer einschalten” oder “ein Programm schreiben”. Der Lehrer erklärt: Programmieren ist das, was ich ich mit Euch jeden Tag mache. Was mache ich mit Euch? Antwort: “Uns sagen, was wir lernen sollen”. Genau. Und Programmieren ist, dem Computer zu sagen, was er lernen soll.

Fragebogen

Die erste Stunde wollten wir mit einer Bestandsaufnahme beginnen. Wo stehen die Kinder? Was haben sie schon mit Computern gemacht? Welche Vorstellungen haben die Kinder zu den Fähigkeiten eines Computers?

Wir haben den folgenden Fragebogen von den Kindern ausfüllen lassen. Das hat 20 Minuten gedauert und war nur durch Führung des Lehrers durch den Fragebogen möglich (Frage für Frage am Beamer). Das Ergebnis ist fürchte ich nicht sicher verwertbar, weil die Fragen teilweise nicht verstanden wurden und die Kreuze zu einigen Fragen doch eher zufällig gezeichnet wurden. Der Vollständigkeit halber stelle ich den Fragebogen hier zur Verfügung.

Einige Ergebnisse halte ich als ein dem Ausfüllungsprozess Beiwohnender allerdings für zutreffend in dem Sinne, dass sie das widerspiegeln, was die Kinder meinten.

  • Zwei Drittel der Kinder haben regelmäßigen oder häufigen Zugang zu Computern, Tablets oder Smartphones.
  • Die häufigsten Nutzungsszenarien sind Spiele, Medienkonsum (Videos, Musik), Fotografieren, Lernsoftware, Messaging.
  • Einhellig stellen die Kinder fest, dass Computer keine schlechte Laune haben können.
  • Bei den Fähigkeiten von Computern herrscht große Unsicherheit. Es wird häufig “weiß nicht” angekreuzt (je nach Frage zwischen 35% und 64% aller Antworten).

Kommando “Pimperle”

Zur Auflockerung nach der kleinen Pause spielen wir Kommando Pimperle. Der Lehrer erklärt Kommandos und visualisiert sie an der Tafel (Dokument mit ausdruckbaren Vorlagen ist hier): Pimperle (mit den Zeigefingern auf der Tischplatte trommeln), Faust (beide Fäuste auf den Tisch legen), Flach (beide Hände flach auf den Tisch legen), Hoch (beide Hände nach oben recken), Tief (beide Hände unter den Tisch halten), Kante (beide Handkanten auf den Tisch legen), Ellenbogen (beide Ellenbogen auf den Tisch stellen). Schrittweise werden die Kommandos eingeführt und “gespielt”. Die Kinder folgen den Anweisungen bereitwillig und mit Spaß.

Was lernen wir daraus? Ihr wart gerade richtig tolle Computer, weil Ihr die Befehle richtig ausgeführt habt.

Die Katze “Scratch” und ihr Zuhause

Alle Kinder versammeln sich auf Teppichfliesen kniend im Halbrund dicht vor der Projektionswand. Der Lehrer zeigt den Splashscreen von ScratchJr. Er fragt: wollen wir mal sehen, wie die Katze wohnt? Und klickt auf das Haus-Symbol. Es erscheint eine Katze auf einem weißen Blatt Papier. Wie traurig. Das wollen wir im Laufe der nächsten Wochen ändern.

Aber erst einmal können wir die Katze auf dem Blatt verschieben. Der Lehrer verschiebt die Katze und bittet einige Kinder aufzustehen, und es ihm an der Projektionswand nachzumachen. Dann verwendet der Lehrer ohne Worte die Befehle Rechts, Links, Aufwärts und Abwärts und tippt diese mehrfach an. Welches von den Kindern möchte die Katze nun vom linken Rand in die Mitte des Blattes bewegen. Ein Kind steht auf und tippt mehrfach auf den Befehl “Rechts”. Die nächste Aufgabe, die Katze wieder an den linken Rand zu bewegen, übernimmt ein anderes Kind, indem es mehrfach auf den Befehl “Links” tippt.

Der Lehrer erklärt, dass man die Katze mehrere Schritte machen lassen kann, wenn man unten eine Zahl eintippt. Er tippt 8 ein und lässt die Katze vom linken Rand “automatisch” in die Mitte laufen. Ein Raunen geht durch’s Publikum. Wer möchte die Katze nun wieder nach links laufen lassen? Ein Kind tippt 8 unter den “Links”-Befehl und startet ihn.

Nun hängt der Lehrer die beiden Puzzleteile zusammen und startet diese im Block. Die Katze läuft in die Mitte und wieder zurück. Jetzt höre ich: “Cool!”. “Kann die Katze auch springen?”. “Ich will auch mal!”

Der Lehrer zeigt noch die beiden Befehle “Vergrößern” und “Verkleinern”. Dann bittet er die Kinder zurück auf ihre Plätze.

Tablets austeilen

Der Lehrer gibt Verhaltensregeln, wie die Tablets zu behandeln sind, und erklärt Konsequenzen, wenn ein Tablet kaputt gehen sollte. Er sagt, dass ich die Tablets mitgebracht hätte und dass die Schule dafür nichts bezahlen müsse. Aber dafür müssen die Kinder auch aufpassen, dass sie nicht kaputt gehen. Vielleicht ist das ein Kniff, um an das Verantwortungsbewusstsein der Kinder zu appellieren. Es führt aber zu einer unerwarteten Reaktion eines Kinde ganz am Ende der Stunde. Aber dazu später.

Wir haben nur 19 Schülertablets aber 23 Kinder. Wer möchte gerne im Zweierteam arbeiten? Nachdem das geklärt ist, bekommen die Kinder Tablets. Ich schalte jedes Tablet beim Ausgeben selbst ein und wir bitten die Kinder, sich zu merken, welche Nummer ihr Tablet hat.

ScratchJr erkunden

Nach dem Austeilen hatten wir uns vorgenommen zu erläutern, wie man ScratchJr startet, und dann die Aufgabe zu stellen, mit den soeben erlernten Befehlen zu experimentieren. Als wir das letzte Tablet ausgegeben haben, läuft bereits auf 80% der Tablets ScratchJr und auf 50% der Tablets hüpfen, verschwinden und drehen sich Katzen, die teilweise schon mit dem Zeicheneditor in grün oder blau eingefärbt wurden. Die Kinder legen beim Experimentieren eine Wahnsinnsgeschwindigkeit vor.

Der Lehrer und ich beschränken uns darauf, verloren geglaubte ScratchJr-Apps wieder in den Vordergrund zu holen und dazu anzuhalten, nicht den Zeicheneditor auszuprobieren, sondern die Katze mit Befehlen durch ihr Zuhause zu führen. Tipps, wie die Katze nach dem Verschwinden wieder in den Ursprungszustand versetzt werden kann, werden begierig aufgesogen.

Zwischenzeitlich müssen wir die Kinder immer wieder ermahnen, die Tablets auf dem Tisch liegen zu lassen, wenn sie ihren Nachbarn ihre Erkenntnisse vorführen wollen. Den Beginn der großen Pause verpassen wir alle um ein paar Minuten. Ein Machtwort des Lehrers führt zögerlich dazu, dass die Tablethüllen geschlossen werden.

Mundpropaganda

In der großen Pause haben der Lehrer (aufsichtsführend) und ich ein paar Sätze lang Gelegenheit, die nächste Unterrichtsstunde abzustimmen. Wir wollen zuerst ca. 10 Minuten lang projektfremde Dinge erledigen und dann noch einmal mit ScratchJr arbeiten. Den Rest der Pausenzeit ist der Lehrer umringt von Kindern, die ihn umarmen oder sonstwas von ihm wollen.

Auf dem Schulhof werde ich von mehreren Kindern gefragt - nein bedrängt: Kommst Du mit den Tablets auch in die erste Klasse? Bitte, bitte, bitte! Und auch in die 2c! Warum kommst Du nicht in die vierte Klasse? Und so weiter. Woher wissen die nur von unserem Projekt? Niemand hatte es angekündigt, es stand in keiner Zeitung. Also Schulhof-Mundpropaganda. Schnellere Werbung für Informatik in der Schule gibt es nicht. Ich freue mich und antworte vertröstend.

Die erste konkrete Aufgabe

Ausnahmslos alle Kinder haben sich ihre Tabletnummer gemerkt. Ich gehe während des im Klassenraum stattfindenden Frühstücks rum und frage jedes Kind nach seiner Tabletnummer und notiere mir diese für die nächste Woche.

Nach den vereinbarten projektfremden 10 Minuten werden die Tablets ausgeteilt. Wir geben Anweisungen, wie man ein neues Projekt anlegt und wie man ein Projekt speichert. Der Lehrer stellt dann folgende Aufgabe: Schiebt die Katze nach unten links. Dann programmiert die Katze so, dass sie ganz nach rechts bis zur Wand läuft und dann wieder zurück zur Ausgangsposition. Wer damit fertig ist, programmiert bitte folgendes: die Katze läuft einmal an allen vier Wänden entlang (gegen den Uhrzeigersinn) und dann wieder zum Ausgangspunkt. Nicht alle Kinder bekommen die Anweisungen mit, weil sie schon wieder auf ihr Tablet fixiert sind. In den folgenden Minuten muss ich und der Lehrer die Anweisung hier und da noch einmal individuell wiederholen.

Die meisten Kinder versuchen es statt der Eingabe von 8 Schritten nach rechts mit 9 Schritten. Das reicht nicht, um bis zum rechten Rand zu gelangen. Der nächste Versuch sind häufig zu große Zahlen. 56 Schritte führen dazu, dass die Katze mehrfach über den Bildschirm rotiert. Der Stop-Button wird von uns als hilfreiches Werkzeug individuell erläutert.

Jetzt zeigen sich deutliche Leistungsunterschiede zwischen den Kindern. Einige Kinder gehen das Problem systematisch an. Erkennen, dass 8 mal 2 gleich 16 ist, und geben diesen Wert ein. Andere verfolgen die Versuch-und-Irrtum-Methode und tasten sich an den richtigen Wert heran.

Die Eingabe der Ziffern erfordert einige Übung, weil sie nicht immer intuitiv ist. Wenn in dem Baustein schon eine 1 steht, reicht es nicht, eine 6 einzugeben, um 16 zu erhalten, sondern man beginnt die Eingabe jedesmal von vorne. Auch treffen nicht alle Kinder auf Anhieb den richtigen Bereich des Bausteins, um die Zifferneingabe einzuschalten.

Bei der Aufgabe, bei der die rechteckige Grundfläche umrundet werden muss, begehen einige Kinder den Fehler, die Schritte rechts, hoch, links, runter in einer falschen Reihenfolge durchzuführen. Wieder andere gehen zu weit nach oben (16 Schritte), nicht erkennend, dass sie es mit einem Rechteck und nicht mit einem Quadrat zu tun haben.

Auflösung

Nach etwa 15-20 Minuten freier Arbeitszeit sind fast alle Kinder mit der ersten Aufgabe fertig, einige auch mit der zweiten Aufgabe. Der Lehrer entwickelt nun mit den Kindern gemeinsam die Lösung am Whiteboard. Ich gehe herum und versuche die Aufmerksamkeit vom Tablet auf die Tafel zu lenken. Hier und da klappe ich das Tablet zu. Der Lösungsvorschlag des Lehrers, um die Anzahl der benötigten Schritte zu ermitteln: Wir gehen einfach immer einen Schritt und zählen mit. Die ganze Klasse zählt mit, während der Lehrer den “Einmal nach rechts”-Befehl wiederholt antippt: eins - zwei - drei - … - vierzehn - na einer geht noch - fünfzehn - sollen wir noch einen Schritt machen? - sechszehn. Super. Dieselbe Lösungsstrategie wenden wir auf dem Weg nach oben an. Bei dem im Chor aufgesagten Wort “zehn” ist Schluss und die Katze ist so gerade noch vollständig unterhalb der Oberkante sichtbar.

Müssen wir - so die Frage des Lehrers in die Runde - nun auch die Schritte nach links wieder zählen? Mehrere Kinder wissen, dass dies natürlich auch wieder 16 Schritte sein müssen. Einige können es auch erklären. Und dann wiederholt der Lehrer dieselbe Frage für den Weg nach unten zurück zum Ausgangspunkt. Bei einigen Kindern fällt lautstark der Groschen: “Ach jetzt kapier ich das!”

Schließlich verknüpft der Lehrer die vier entstandenen Puzzleteile und bittet ein Kind, das Programm zu starten. Einige Kinder haben die Schritte auf ihrem Tablet “nachprogrammiert”, während sie vorne entwickelt wurden. Weniger aufmerksame Kinder haben sich mittendrin wieder ihrem persönlichen Projekt (Zeicheneditor ausprobieren, neue Figuren auswählen, Hintergründe durchblättern) gewidmet. Wir müssen beim nächsten Mal sehen, wie wir das besser unterbinden können.

Nachvollziehen

Die Kinder bekommen nun noch 3 Minuten Zeit, die Lösung nachzuvollziehen. Dann zeigen wir den Kindern, wie man die Tablets ausschaltet und wir sammeln die Tablets ein. Die Tablets haben noch ausreichend Ladung, so dass dies sicher für die nächste und vielleicht sogar noch für weitere Stunden reichen wird.

Wirkungen und Feedback

Interessierte Kinder fragen mich beim Einsammlen, wie man ScratchJr buchstabiert. Wahrscheinlich steht ScratchJr und ein Tablet von nun an auf einigen Weihnachtswunschzetteln. Und jetzt kommt’s: ein Kind nutzt die Abgabe des Tablets, um mich kurz auf Hüfthöhe zu umarmen und um “Danke - hat Spaß gemacht” zu sagen… Ich bin gerührt. Das Erlebte ist wohl auf die Äußerung zurückzuführen, ich hätte die Tablets ohne Bezahlung zu erwarten mitgebracht.

Nachdem alle Kinder wieder auf ihren Plätzen sind, fragt der Lehrer in die Runde, wie die Kinder es fanden. Die Kinder zeigen mit Ihrem Daumen ausnahmslos nach oben. Bei einem Kind zeigt der Daumen nur schräg nach oben. Der Lehrer fragt: Willst Du erklären, warum? Es liegt daran, dass das Kind im Zweierteam nicht so viel zum Zuge kam, wie es sich das gewünscht hätte. Zwei Kinder vor einem Tablet bergen also Konfliktpotential.

In einem Nachgespräch zwischen dem Lehrer und mir erfahre ich, dass die Kinder nebenbei etwas räumliches Vorstellungsvermögen gelernt haben. Wenn es in Geometrie demnächst darum gehen wird, was der Unterschied zwischen einem Quadrat und einem Rechteck ist, erwartet der Lehrer nun keine Verständnisprobleme mehr. Ein erster Brückenschlag zwischen Informatik und Mathematik also.

Wie geht’s weiter?

Die anfängliche Begeisterung wird - so die Einschätzung des Lehrers - abflachen, weil sich der Neuigkeitseffekt verbrauchen wird. Wieviel die Kinder in einer Woche noch wissen werden, müsse man sehen. Auf jeden Fall wollen wir die nächste Stunde mit einer Wiederholung starten.

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